Santanyi
Auch nach 25 Jahren ist mir die erste Zeit auf Mallorca noch sehr in Erinnerung. Wie jung wir da noch waren! Unbedarft in vielerlei Hinsicht, in mancher aber auch sehr klar.
Ehe wir mit Sack und Pack hierhin gezogen sind, waren Helmut und ich alleine auf der Insel- er überhaupt das erste Mal-um eine Wohnung zu suchen. Uns wurde schon
mulmig, als wir nach zehn Tage noch keine passende Unterkunft gefunden hatten. Damals waren die alten Fincas, die die Mallorquiner verlassen hatten, um im Dorf zu wohnen schon ziemlich
runtergekommen. Die Ausstattung was Fenster, Isolierung, Heizung oder sanitäre Anlagen anging waren weit von unserem bekannten Standard entfernt- zumindest in der Preisklasse, die für uns in
Frage kam. Was wir in dieser Zeit angeboten bekamen, war entweder zu teuer, zu einsam oder zu verfallen, manchmal auch alles auf einmal.
Durch einen glücklichen Zufall kamen wir an unsere erste Finca. Wir wollten eine Pause bei der Suche machen, und waren zur Cala Llombards unterwegs, die uns schon auf den ersten Blick so gefallen hat. Am Ortsausgang von Santanyi sahen wir an einem Restaurant, das es heute nochgibt: Es Vinyet.
Schon fast daran vorbei, entschlossen wir uns kurzfristig, dort noch ein "Menú del dia" zu essen. Eine wunderbare Erfindung. Noch aus der Francozeit stammt ein
Gesetz, welches Bars und Restaurants verpflichtet, einmal am Tag eine preiswerte warme Mahlzeit anzubieten. Die besteht immer aus einem Dreigängemenü inklusive einer Flasche Wein, Wasser und
weißer Limonade.
Beim Bezahlen an der Theke fragte ich die Kellnerin in meinem holprigen Spanisch, ob sie vielleicht eine Wohnung für uns wüsste. Sie sprach kurz mit ihrer Kollegin,
diese drehte sich zu uns um, und sagte auf Deutsch: "Ja, ich habe etwas zu vermieten." Wir wagten kaum zu atmen vor Freude. Sie und ihre Eltern lebten schon lange auf der Insel, und hatten kurz
zuvor beschlossen, eine Haushälfte statt an Urlauber einmal probeweise ganzjährig zu vermieten.
Eine Finca nur drei Kilometer von unserer Lieblingsbucht entfernt. Es dauerte eine Weile, bis wir wirklich glauben konnten, dass unserem Jahr auf Mallorca nichts mehr im Wege stand. Yvonne wohnte in der anderen Haushälfte mit ihrer Tochter, ihre Eltern gegenüber. Wir sind ihr heute noch unendlich dankbar, dass sie uns in den ersten Monaten so unterstützt und geholfen hat.
Da die Wohnung vorher für Feriengäste genutzt wurde, war alles vorhanden, von Handtüchern über Bettwäsche bis hin zum Geschirr. Wir brauchten weder etwas von
unserem Hausstand in Deutschland mitzubringen, noch etwas zu kaufen. So konnten wir mit einer Handvoll Koffer
in unser neues Leben starten.
Ich habe noch alte "Rundbriefe" aus dieser Zeit gefunden. Richtig noch mit der Hand geschrieben und per Post verschickt. Den ersten, den ich gegen Ende des ersten Jahres schrieb, tippe ich einfach mal original ab:
Cas Concos, 22.10.1997
Liebe Freunde,
Jetzt ist es also soweit, auch ich schreibe einen Rundbrief! Aber seit meinem Urlaub im Juli in Deutschland ist 1. einiges passiert, und 2. habe ich seither kaum jemanden geschrieben.
Also, uns geht es allen sehr gut hier, wir haben uns gut eingelebt. Nachdem sich abzeichnete, daß es auch beruflich klappt (Helmut als Gärtner und Poolservice, ich als Public-relation-Krankenschwester in einem Hotel) war dann seit dem Sommer klar, daß wir hierbleiben werden! Wie lange steht noch nicht so fest, aber es zeichnet sich ab, daß wir uns jetzt schon kaum noch vorstellen können, wieder in Deutschland (brrr) leben zu können.
Nachdem der Entschluß gefasst war, wurde für Jana und Carla auch alles einfacher, sie wussten endlich woran sie waren.
Als nächster Plan stand dann die erneute Wohnungssuche auf dem Programm. Wir wollten und mussten aus der alten Finca ausziehen.
Nun haben wir seit ein paar Tagen eine neue Adresse: ein Dorf und noch 10km weiter. Die Kinder gehen schon seit Anfang Oktober in ihren neuen Dorfkindergarten und fühlen sich dort viel wohler als in Santanyi. Mangels Kinder sind die drei- fünfjährigen in einem großen Raum (und trotzdem nur 18 Kinder). Im gleichen Gebäude ist die "Zwergenschule" untergebracht. Die Grundschule geht hier bis zur 6. Klasse und im Ort werden jeweils zwei Klassen zusammen unterrichtet.
Unser Leben ist inzwischen gut organisiert: ich arbeite vier Tage/Wocheim Hotel, d.h. Organisation, Besprechungen, mit unseren Gästen (vom Roten Kreuz als betreute Seniorenreisen organisiert), Betreuern und Hotelpersonal plaudern und kaffee trinken, Dienstpläne schreiben und ähnliche -für eine Krankenschwester- angenehme Arbeiten.
Wenn ich frei habe kann ich mir überlegen, an welchen Strand ich fahre um mich von dieser anstrengenden Arbeit zu erholen :)
Jana und Carla gehen von 9.00-16.00 Uhr in den Kindergarten, lernen Mallorquin, Spanisch und seit neuestem 2x/Woche Englisch. Entweder hole ich sie ab wenn ich frei habe, oder Helmut plant als Freiberufler seine Arbeit so, daß er die beiden versorgen kann.
Nach einigen anderen Anläufen arbeitet er jetzt als Gärtner. Er pflegt die Gärten von Deutschen, die ihre Ferienvillen hier haben. Zum Teil legt er auch Gärten neu an, installiert Bewässerungen, schneidet Bäume und Palmen, macht Garten und Poolpflege, Noch reicht es finanziell gerade nicht, daß wir nur von den Gärten leben können, aber sicher ab nächsten Sommer.
Ich habe in meinen vier Monaten frei zwei zusammen mit Helmut in den Gärten gearbeitet. Mir hat es so gut gefallen, daß ich wahrscheinlich nur noch diese Saison im Hotel arbeiten werde. Die Arbeit ist auch toll, aber ich fahre halt jedesmal 70 km, und das mit einem 15 Jahre alten Seat, der eine Höchstgeschwindigkeit von 100km/h hat.
Mal sehen, was die Zukunft so bringt. Bisher ist es uns auf jeden Fall immer sehr gut mit allem gegangen.
Wenn wir umgezogen sind, wollen wir uns ein paar Tiere zulegen: Hühner für frische Landeier, Schafe und ein Hausschwein als Fleischlieferant, Katzen zum Mäusefangen, Hund haben wir schon, und einen Esel! An Pony haben wir uns noch nicht rangetraut, bei einem Esel kann man nicht so viel falsch machen, wenn er nicht will, will er nicht.
Unser "gesellschaftliches Leben" nimmt allmählich auch Formen an. So auf dem platten Land mit zwei Kindern und Berufstätigkeit kommen wir nicht so viel weg. Die Leute im Ort sind zwar freundlich aber zurückhaltend, unsere Sprachkenntnisse ja auch nicht berauschend. Santanyi ist eine Kleinstadt mit relativ großem Einzugsgebiet, sowohl was den Kindergarten angeht, als auch als Treffpunkt für Erwachsene. In Cas Concos ist alles kleiner und übersichtlicher, d.h. die Leute die man im Laden, in der Bar (so heißen hier die Kneipen), oder Schule trifft wohnen mit ziemlicher Sicherheit auch im oder nahe beim Ort. kann zwar lästig sein, für uns aber erstmal ganz gut.
Soviel zu unserem fast erstem Jahr auf Mallorca. Ganz viele liebe sonnige Grüße!
Diese Eindrücke vom ersten Jahr sind immer noch sehr präsent. Die täglichen Fahrten ans Meer, die abendlichen Sonnenuntergänge die wir von unserer Terrasse aus sehen konnten, das Leben mit zwei Kleinkindern in dieser fremden Welt.
Ein Schwein haben wir uns dann doch nicht zugelegt, den Esel schon. Er bzw. sie, die Eselin Elvira war von uns Eltern auch ein wenig ein Lockmittel, um den Kindern
die Insel weiter schmackhaft zu machen. So wohl wie wir hatten sie sich nämlich in diesem Jahr nicht gefühlt.
Wir hatten die beiden nach zwei Wochen auf der Insel in dem Kindergarten angemeldet, in den auch die Tochter unserer Vermieterin ging. Ein katholischer mit Nonnen als Erzieherinnen, wobei diese damals noch keine Ausbildung brauchten.
Ich hatte Jana und Carla einen Miniwortschatz auf Spanisch beigebracht, so dass sie sagen konnten, ob sie Durst hatten oder mal mussten. Trotz aller Vorbereitungen
wusste ich damals nicht, dass die Hauptsprache Mallorquin ist. Ich wusste noch nicht einmal, dass es diese Sprache gibt. Alle Einheimischen sprechen untereinander nur Mallorquin, Spanisch wird
als Fremdsprache ab der ersten Klasse unterichtet.
Nach zwei Wochen Kindergarten kamen die beiden weinend zu uns, und fragten "Wann sprechen die endlich so wie wir?" Es war ein richtiger Schock für sie, als wir ihnen sagen mussten, dass sie jetzt diese Sprache sprechen müssen. Ich habe mich in diesem ersten Jahr oft gefragt, was bedeutet die Aussage: "Ach Kinder lernen ganz schnell eine neue Sprache". Was ist schnell? Ich hatte immer so einen Zeitrahmen von drei bis vier Monaten im Kopf, bis sich Kinder verständigen können. Die beiden sprachen nach fast einem Jahr noch immer kaum ein Wort auf Mallorquin. Kein Lied, keinen Kindervers.
Im Juli 1997 wurde das Abschlußfest von Kindergarten und Schule gefeiert. Ein kleiner Junge aus ihrer Gruppe fragte uns etwas auf Mallorquin. Ich wollte von Carla wissen, was er gesagt hat. "Weiss ich auch nicht, aber wenn man nicht antwortet, hören die auch wieder auf mit einem zu reden."
Ich war ziemlich geschockt, so etwas von einer Fünfjährigen zu hören. Hatten wir vielleicht doch die falsche Entscheidung getroffen? Muteten wir den beiden zu viel zu? Reicht es für die ganze Familie, wenn die Eltern glücklich sind, und sich wohl fühlen?
Als wir im Oktober umzogen und ich die beiden im Kindergarten in Cas Concos anmeldete, erzählte ich der Schulleitung von meinen Bedenken. Ihre Antwort tröstete
mich, sie sagte, ach letztendlich lernen sie es dann doch alle. So war es dann auch. Schon kurze Zeit später unterhielten sich die beiden mit den einheimischen Kindern, hatten Freundinnen
gefunden und waren mit ihrem Leben rundum glücklich.
Später erzählten sie mir, dass sie nach dem Sprachschock gemeinsam beschlossen hatten, nicht mit den anderen Kindern zu sprechen. Ein Grund war sicher auch, dass wir sie auf Empfehlung des Kindergartens in die Gruppe der Dreijährigen angemeldet hatten, weil die ja auch noch nicht soviel sprechen. Aber der Entwicklungsunterschied in dem Alter ist enorm, und sie konnten den Gesprächen mit ihnen nichts abgewinnen.
Und heute unterhalten sie sich hauptsächlich in Mallorquin. Selbst wenn sie auf Deutsch anfangen, sobald sie sich ein Wort suchen müssten, wechseln sie lieber in die ihnen geläufigere Sprache.
Kommentar schreiben